Relatives Risiko: Die Krux mit der Kommunikation

Warum Statistiken Angst machen können

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“Milchkonsum erhöht Brustkrebsrisiko um 50 Prozent.” “Chemotherapie senkt Rückfallrisiko um ein Drittel.” Solche Schlagzeilen können falsch interpretiert werden und für Missverständnisse sorgen – auch bei Fachleuten.

++++ Lesen Sie zu diesem Thema auch unsere Fachkreise-News Brustkrebs: Welchen Einfluss hat Milch auf das Risiko? ++++ 

In der Medizin geht es regelmäßig um die Einschätzung und Abwägung von Nutzen und Risiken beziehungsweise den zugrundeliegenden Wahrscheinlichkeiten. Statistische Angaben dazu erzeugen oft Unsicherheit. 

Zudem ist die Art der Darstellung meist alles andere als eingängig, nicht nur für Patientinnen und Patienten. Besonders problematisch ist die Angabe von relativen Risiken – deren Steigerung beziehungsweise deren Reduktion: Sie vernebelt und verzerrt leicht die Faktenlage und kann zu Fehleinschätzungen führen. Was braucht es für das Verständnis? 

Fachbegriffe aus der Risikokommunikation umgeben drei grafisch dargestellte Personen mit Fragezeichen.
Statistische Angaben zu Risiken und Wahrscheinlichkeiten sind oft schwer verständlich.
Bild: © Krebsinformationsdienst, DKFZ, erstellt mit BioRender.com

Cave relatives Risiko

Ganz vorn unter den “schwierigen” und zu vermeidenden Formaten, in denen relevante Ergebnisparameter von Behandlungen dargestellt werden, sind relative Risiken beziehungsweise die relative Risikoreduktion oder auch -erhöhung. Oft fällt das “relativ” auf den verschiedenen Stationen der Kommunikation weg. Beispiele: 

  • “Das Risiko für die Entwicklung von schwerwiegenden Nebenwirkungen beträgt 0,7”. 
  • “Die Behandlung senkt das Rezidivrisiko um 30 Prozent.”
  • “Mammographiescreening senkt das Risiko, an Brustkrebs zu sterben, um 20 Prozent.”
  • “Regelmäßiger Genuss von Kuhmilch und Milchprodukten erhöht das Brustkrebsrisiko um 50 Prozent.”

Relative Risiken beschreiben das Verhältnis zwischen zwei absoluten Risiken. Ein Beispiel ist die Zahl der Rückfälle in einer Patientengruppe mit und in einer Gruppe ohne Behandlung. Kommt es absolut zu etwa 20 versus 30 Rückfällen, dann beträgt das relative Risiko für einen Rückfall bei Behandlung, ohne die Grundgesamtheiten, also die Zahl der Patienten in den Gruppen, zu betrachten, 66 Prozent:

Relatives Risiko (RR) für Rückfall bei Behandlung = 20 : 30 = 0,66 oder 66 Prozent,
Relative Risikoreduktion (RRR) = 1 minus 0,66 = 0,33 = 33 Prozent. 

Ohne die Kenntnis der Grundgesamtheiten als Bezugsgröße kann jedoch auch ein kleiner, absoluter Unterschied sehr groß erscheinen: 33 Prozent relative Risikoreduktion sind bei hohem absolutem Risiko, also etwa für einen Rückfall, viel, bei geringem Risiko aber sehr wenig. Die Rechnung stimmt zwar, aber ohne die Bezugsgröße entstehen evidenzbasierte Missverständnisse. 

Die Tabelle 1 illustriert dies an einem fiktiven Beispiel.

Tab. 1: Nutzen einer Behandlung: Die Angabe der relativen Risikoreduktion für einen Rückfall sagt nichts über die absolute Effektgröße aus.

Rückfälle ohne Therapie (R1)Rückfälle mit Therapie (R2)Absolute Risikoreduktion (R2 minus R1)Relatives Risiko (RR)Relative Risikoreduktion (RRR)
300 von 1000
Risiko 30 %
200 von 1000
Risiko 20 %
100 von 1000
10 %
R2 : R1
66 %
1 minus RR
33 %
30 von 1000
Risiko 3 %
20 von 1000
Risiko 2 %
10 von 1000
1 %
R2 : R1
66 %
1 minus RR
33 %
3 von 1000
Risiko 0,3 %
2 von 1000
Risiko 0,2 %
1 von 1000
0,1 %
R2 : R1
66 %
1 minus RR
33 %

Statistische Angaben oft fehlinterpretiert

Das Problem: Der Durchschnittsmensch ist zahlenblind, wie es der Risikoforscher Gerd Gigerenzer formuliert hat – und das gilt insbesondere für statistische Angaben von Wahrscheinlichkeiten. Natürliche Zahlen, natürliche Häufigkeiten sind es, mit denen die Menschen umgehen können, die “einleuchten”. Die aber sind nicht immer ohne Weiteres verfügbar. 

Um Nutzen und Risiken medizinischer Maßnahmen zu beschreiben, werden stattdessen oft nur relative Risken oder die relative Risikoreduktion durch bestimmte Einflüsse oder Behandlungen benannt. Dies geschieht oft aber “nackt", ohne Bezugsgrößen. Die Folge sind Fehleinschätzungen, die schwerwiegende Konsequenzen haben können, wenn es um die Bewertung von Risiken und Nutzen und um darauf gegründete Entscheidungen geht. 

Tipps: Kommunikation von Nutzen und Risiken in der Medizin

Worauf man bei der Kommunikation von Nutzen und Risiken achten sollte:

  • natürliche Häufigkeiten und absolute Risiken statt relativer Häufigkeiten (Prozentangaben) verwenden
  • Bezugsgrößen und Grundrisiko (etwa ohne Risikofaktor oder ohne Therapie) angeben
  • verschiedene Betrachtungsweisen anbieten (Nutzen- und Risiko-betont)
  • Vergleich mit anderen Risiken
  • nach Möglichkeit Visualisierung (Grafiken, Piktogramme)
  • Darstellung und Einbettung nicht nach dem erwünschten Ergebnis der Kommunikation gestalten (etwa pro Therapie) 

So empfiehlt es auch die Leitlinie Evidenzbasierte Gesundheitsinformation1. In dieser haben Expertinnen und Experten für verschiedene Formate der Risikokommunikation die vorliegende Evidenz im Hinblick auf kognitive und affektive Ergebniskriterien bewertet: Verstehen, Risikowahrnehmung, Wissen, Verständlichkeit/Lesbarkeit sowie Akzeptanz und Attraktivität. 

Mit dieser Form der Kommunikation von (evidenzbasierten) statistischen Daten lässt sich eine Brücke zum Verständnis schlagen, indem sie Wahrscheinlichkeiten “(be)greifbarer” macht. Sie setzt allerdings voraus, dass die Vermittelnden zu der erforderlichen Übersetzungsleistung in der Lage sind. 

Faktenboxen und Piktogramme für das Verständnis

Mit einigen Rechnungen lassen sich aus (fast) allen relevanten statistischen Größen, auch und besonders aus relativen Risiken, natürliche Häufigkeiten generieren – die Kenntnis der Grundgesamtheiten vorausgesetzt.

Darauf aufbauende Visualisierungen oder sogenannte Faktenboxen können die Sachlage weiter verdeutlichen. So lassen sich Nutzen und Schaden mit und ohne eine bestimmte medizinische Maßnahme in absoluten Zahlen übersichtlich darstellen. Gute Beispiele hat das Harding-Zentrum für Risikokompetenz für verschiedene (hauptsächlich allerdings nichtonkologische) Fragestellungen entwickelt2

Zum Weiterlesen: Verwendete Quellen und vertiefende Informationen

1Lühnen J, Albrecht M, Mühlhauser I, Steckelberg A. Leitlinie evidenzbasierte Gesundheitsinformation. Hamburg 2017 (Zugriff am 31.05.2024).

2Harding-Zentrum für Risikokompetenz. Faktenboxen und Piktogramme (Zugriff am 31.05.2024).

Gaisser A, Krömer P. Wie soll ich mich entscheiden? Und was bedeutet das für mich? In: Gaisser A, Weg-Remers S (Hrsg.). Patientenzentrierte Information in der onkologischen Versorgung. Berlin, Heidelberg: Springer; 2020. DOI: 10.1007/978-3-662-60461-8_12.

Gigerenzer G. Das Einmaleins der Skepsis. Über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken. Berlin: Berlin-Verlag; 2002.

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