Krebsrisiko durch Antidiabetika

Lösen Diabetesmedikamente Krebs aus?

Erstellt am:

Bitte beachten Sie:
Diese Nachricht ist bereits älter als 180 Tage. Unsere News werden NICHT NACHTRÄGLICH AKTUALISIERT. Sie haben Fragen zu diesem Thema? Unsere Ärztinnen und Ärzte stehen Ihnen gerne zur Verfügung. Sie erreichen uns am Telefon und per E-Mail.

Bei Patienten, die über Jahre hinweg das Antidiabetikum Glibenclamid in hohen Dosen einnehmen, steigt das Krebsrisiko. Diese Meldung hat im Winter 2015 zahlreiche Diabetes-Patienten verunsichert. Zugrunde lag eine Studie kanadischer Epidemiologen. Die Befürchtung, eine langjährige medikamentöse Diabetes-Therapie könne sich auf das Tumorrisiko auswirken, ist jedoch nicht neu, und sie ist auch nicht auf Glibenclamid beschränkt. Allerdings bleibt die Datenlage trotz einer stetig steigenden Zahl an Studien widersprüchlich. Welche Antidiabetika stehen unter dem Verdacht, Krebs auszulösen? Warum ist eine Beurteilung des Krebsrisikos so schwierig? Welche Tumorarten werden wahrscheinlicher, und vor allem: Welche Konsequenzen haben die derzeitigen Daten für die Beratung Betroffener?
Der krebsinformationsdienst.med fasst die wichtigsten Fakten zusammen und listet Quellen auf.

Forschung: Was erschwert die Beurteilung des Krebsrisikos durch Antidiabetika?

Bei den meisten Patienten mit Typ II-Diabetes kommen mehrere Risikofaktoren für eine Reihe der häufigeren Tumorarten zusammen. Am deutlichsten wird dies am Beispiel der kolorektalen Karzinome: Patienten mit Typ II-Diabetes sind häufig übergewichtig und bewegen sich zu wenig. Diskutiert wird, dass bei ihnen eine chronische Stoffwechselentgleisung, das metabolische Syndrom, nicht nur Diabetes fördert, sondern auch an der Krebsentstehung beteiligt sein könnte.

Glibenclamid: Welche Daten liefern aktuelle Publikationen?

Sulfonylharnstoffe sind eine Gruppe von oralen Antidiabetika, die zu einer vermehrten Insulinfreisetzung aus der Bauchspeicheldrüse führen. Der bekannteste Vertreter ist Glibenclamid. Im Herbst 2015 veröffentlichte eine kanadische Forschergruppe eine Kohortenstudie mit Daten von mehr als 52.000 Patienten mit Typ II-Diabetes: Die langjährige Einnahme von Glibenclamid war bei ihnen mit einem leichten, statistisch aber nicht signifikanten Anstieg des Krebsrisikos verbunden, der bei der Therapie mit anderen Sulfonylharnstoffen nicht auftrat. Signifikant wurde der Unterschied, wenn die Forscher die Dauer und die Dosis des jeweiligen Sulfonylharnstoffs in die Auswertung mit einbezogen.

Welche Krebsarten waren von der insgesamt immer noch geringfügigen Risikoerhöhung betroffen? Auch hier lassen sich die Ergebnisse nur bedingt für die Therapieplanung bei Diabetes-Patienten nutzen: Während für Lungenkrebs sogar ein leicht protektiver Effekt durch Glibenclamid angedeutet wurde, war für Brustkrebs eine Risikoerhöhung als Trend sichtbar - allerdings nicht signifikant.

Metformin protektiv?

Ob Glibenclamid im Vergleich zu anderen Sulfonylharnstoffen tatsächlich schlechter abschneidet, lässt sich noch aus einem weiteren Grund nicht sicher beantworten: 16 Prozent der Glibenclamid-Nutzer nahmen in der Studie auch Metformin ein. Bei den Patienten, die andere Sulfonylharnstoffe anwendeten, war es dagegen mehr als die Hälfte (53 %).

Metformin ist ein orales Biguanid-Antidiabetikum, das in verschiedenen Studien mit einer verminderten Krebsneuerkrankungsrate einherging. Das könnte bedeuten: Nicht die Sulfonylharnstoffe sind der entscheidende Wirkstoff, sondern das Metformin - in der Gruppe der Patienten, die kein Glibenclamid, sondern andere Sulfonylharnstoffe einnahmen, erkrankten möglicherweise nur wegen der gleichzeitigen Metformin-Einahme weniger an Krebs.

Glitazone, Insulinanaloga, weitere: Wie sieht es mit anderen Antidiabetika aus?

Glitazone

Dosierhilfe © Krebsinformationsdienst, Deutsches Krebsforschungszentrum
Bild: Krebsinformationsdienst, Deutsches Krebsforschungszentrum

Auch Pioglitazon, ein "Insulin-Sensitizer" aus der Gruppe der Glitazone, steht unter dem Verdacht, Krebs auszulösen. Glitazone verringern den Insulinbedarf von Typ II-Diabetikern, indem sie zu einer besseren Zuckeraufnahme im Gewebe führen.

Im Juni 2013 stufte die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) Pioglitazon als "wahrscheinlich krebserregend" (Gruppe 2A) in Bezug auf Harnblasenkrebs ein. Für den verwandten und in Deutschland nicht zugelassenen Wirkstoff Rosiglitazon war nach Meinung der Experten eine Bewertung des Krebsrisikos nicht möglich (Gruppe 3). Seit 2011 sind in den Fachinformationen der Pioglitazon-Präparate Warn- und Beratungshinweise zum Blasenkrebsrisiko hinterlegt.

Pioglitazon spielt in Deutschland nur noch eine untergeordnete Rolle, seit der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) den Wirkstoff von der Verordnungsfähigkeit zulasten der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen hat. International steht Pioglitazon jedoch weiter im Fokus der Forschung - die Ergebnisse bleiben widersprüchlich. US-amerikanische Forscher veröffentlichten 2015 eine Studie, die kein statistisch signifikant erhöhtes Blasenkrebsrisiko für Pioglitazon nachweisen konnte. Trotzdem wollten die Autoren einen Zusammenhang zwischen Pioglitazon und Blasenkrebs nicht ausschließen. Aufgrund ihrer Daten halten die Autoren auch einen ungünstigen Einfluss des Wirkstoffs auf das Risiko für Prostata- und Pankreaskarzinome für möglich. Ob dies eine zufällige Beobachtung war oder ein tatsächlicher Zusammenhang besteht, muss jedoch in weiteren Studien noch untersucht werden.

Insulinanaloga

Experten diskutieren außerdem ein Krebsrisiko durch "künstliche" Insuline: Sogenannte Insulinanaloga, beispielsweise Glargin, sind Insuline mit einer geringfügigen Änderung in der Aminosäuresequenz. Dadurch soll die Pharmakokinetik im Vergleich zu Humaninsulin günstig beeinflusst werden. Ziel ist vor allem eine genauer steuerbare Insulinwirkung.
Anhand von Daten aus Laborversuchen entstand schon vor mehreren Jahren der Verdacht, Insulinanaloga könnten das Zellwachstum anregen. Seit 2009 wurden mehrere große Studien vorgestellt, von denen jedoch nur eine ein durch Insulinanaloga erhöhtes Krebsrisiko nachwies.

Das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sowie die US-amerikanische Federal Drug Administration (FDA) wiesen jedoch auf Mängel der Studien hin sowie auf die Risiken, die gerade schlecht einstellbare Diabetiker bei plötzlichem Absetzen von Insulinanaloga eingehen würden. Die Mehrzahl der Arzneimittelbehörden der Industrieländer fordert weitere Forschung, um dem Krebsrisiko nachzugehen. Keine der Behörden rät dazu, Insulinanaloga aufgrund der vorliegenden Daten abzusetzen.

Konsequenzen für die Beratung: Aufklärung über Risiko-Nutzen-Gewichtung hat Priorität

Wie geht man vor, wenn Diabetiker etwa aufgrund von Medienberichten ihre Besorgnis äußern, ihre Therapie könne ihnen schaden? Eine Kernbotschaft, die Fachleute Patienten mit auf den Weg geben können: Die Wahl der antidiabetischen Therapie sollte nicht allein durch die Frage nach einem möglichen Krebsrisiko durch die Medikament beeinflusst werden. Dazu reicht die derzeitige Datenlage nicht aus.

Welche Faktoren für die Wirkstoffauswahl bei der Behandlung von Typ II-Diabetes ausschlaggebend sind, erläutert die Nationale Versorgungsleitlinie "Therapie des Typ-2-Diabetes". Demnach sollten beispielsweise die Frage nach der Wirksamkeit der Diabetes-Medikamente, das Nebenwirkungsprofil sowie die individuelle Verträglichkeit im Vordergrund stehen.
Je mehr man über die Zusammenhänge zwischen metabolischem Syndrom und Krebsentstehung lernt, desto deutlicher wird allerdings auch: Ihr Krebsrisiko senken können Patienten vor allem, indem sie bekannte Risikofaktoren wie Bewegungsmangel und Übergewicht vermeiden.

Zum Weiterlesen: Verwendete Quellen und vertiefende Informationen (Auswahl)

Aktuelle Studie zu Glibenclamid und Krebsrisiko

Tuccori M, Wu JW, Yin H, Majdan A, Azoulay L (2015). The Use of Glyburide Compared With Other Sulfonylureas and the Risk of Cancer in Patients With Type 2 Diabetes. Diabetes Care. 38(11):2083-9. doi: 10.2337/dc15-1358.

Leitlinien und systematische Übersichtsarbeiten

Die Monographien der Internationalen Krebsforschungsagentur IARC sind in englischer Sprache über das Internet abrufbar unter http://monographs.iarc.fr.
Die Monographien zu Pioglitazon und Rosiglitazon wurden in Volume 108 veröffentlicht. Eine Zusammenfassung dieser Monographie findet sich in Lancet Oncology:
Grosse Y et al. on behalf of the International Agency for Research on Cancer Monograph Working Group a International Agency for Research on Cancer, Lyon, France (2013). News - Carcinogenicity of some drugs and herbal products. The Lancet Oncology. 14(9):807–8. doi: 10.1016/S1470-2045(13)70329-2

Die Nationale Versorgungsleitlinie "Therapie des Typ-2-Diabetes" enthält wissenschaftlich begründete und praktikable Eckpunkte zur Therapie (Basistherapie, Orale Antidiabetika, Insulintherapie) von Menschen mit Typ-2-Diabetes. Sie wurde zuletzt im November 2014 bearbeitet und ist gültig bis August 2018. Die Leitlinie ist im Internet unter www.awmf.org/leitlinien.html abrufbar. Dort finden sich eine Kurz- und eine Langfassung für Fachkreise sowie weitere Dokumente zum Thema.

Rechtlicher Rahmen/Behördeninformationen
Bewertung des Krebsrisikos durch Insulinanaloga durch das Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinproukte (BfArM) vom 29.06.2009:
www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RI/2009/RI-Insulin-Insulinanaloga.html

Weitere Übersichtsarbeiten und Fachveröffentlichungen
Colhoun HM; SDRN Epidemiology Group (2009). Use of insulin glargine and cancer incidence in Scotland: a study from the Scottish Diabetes Research Network Epidemiology Group. Diabetologia. 52(9):1755-65. doi: 10.1007/s00125-009-1453-1.

Fagot JP, Blotière PO, Ricordeau P, Weill A, Alla F, Allemand H (2013). Does insulin glargine increase the risk of cancer compared with other basal insulins?: AFrench nationwide cohort study based on national administrative databases. Diabetes Care. 36(2):294-301. doi: 10.2337/dc12-0506.

Gallagher EJ, LeRoith D (2015). Obesity and Diabetes: The Increased Risk of Cancer and Cancer-Related Mortality. Physiol Rev. 2015 Jul;95(3):727-48. doi: 10.1152/physrev.00030.2014.

Hemkens LG, Grouven U, Bender R, Günster C, Gutschmidt S, Selke GW, Sawicki PT (2009). Risk of malignancies in patients with diabetes treated with human insulin or insulin analogues: a cohort study. Diabetologia. 2009 Sep;52(9):1732-44. doi:10.1007/s00125-009-1418-4.

Jonasson JM, Ljung R, Talbäck M, Haglund B, Gudbjörnsdòttir S, Steineck G (2009). Insulin glargine use and short-term incidence of malignancies-a population-based follow-up study in Sweden. Diabetologia. 52(9):1745-54. doi:10.1007/s00125-009-1444-2.

Lewis JD, Habel LA, Quesenberry CP, Strom BL, Peng T, Hedderson MM, Ehrlich SF, Mamtani R, Bilker W, Vaughn DJ, Nessel L, Van Den Eeden SK, Ferrara A (2015). Pioglitazone Use and Risk of Bladder Cancer and Other Common Cancers in Persons With Diabetes. JAMA. 314(3):265-77. doi: 10.1001/jama.2015.7996.

Margel D, Urbach DR, Lipscombe LL, Bell CM, Kulkarni G, Austin PC, Fleshner N (2013). Metformin use and all-cause and prostate cancer-specific mortality among men with diabetes. J Clin Oncol. 31(25):3069-75. doi: 10.1200/JCO.2012.46.7043.

Rosenstock J, Fonseca V, McGill JB, Riddle M, Hallé JP, Hramiak I, Johnston P, Davis M (2009). Similar risk of malignancy with insulin glargine and neutral protamine Hagedorn (NPH) insulin in patients with type 2 diabetes: findings from a 5 year randomised, open-label study. Diabetologia.52(9):1971-3. doi: 10.1007/s00125-009-1452-2.

Sui X, Xu Y, Wang X, Han W, Pan H, Xiao M (2015). Metformin: A Novel but Controversial Drug in Cancer Prevention and Treatment. Mol Pharm. 12(11):3783-91. doi: 10.1021/acs.molpharmaceut.5b00577.

Zhang ZJ, Li S (2014). The prognostic value of metformin for cancer patients with concurrent diabetes: a systematic review and meta-analysis. Diabetes Obes Metab. 16(8):707-10. doi: 10.1111/dom.12267.

Fragen Sie uns. Wir sind für Sie da.

Ärztinnen und Ärzte beantworten Ihre Fragen zu Krebs am Telefon oder per E-Mail – kostenfrei.
Unsere Informationen sind verständlich, aktuell, wissenschaftlich fundiert und qualitätsgesichert.

Ärztlicher Telefondienst

Telefonisch erreichen Sie uns unter 0800 420 30 40 täglich von 8 bis 20 Uhr. Ihr Anruf ist innerhalb Deutschlands kostenlos.

Wir rufen Sie gerne zurück

Sie haben uns nicht erreicht? Oder wollen in einem festen Zeitraum mit uns telefonieren? Dann
können Sie mit unseren Ärztinnen und Ärzten einen Rückruf vereinbaren.

  • Pflichtfelder Bitte hinterlegen Sie eine Telefonnummer unter der Sie persönlich gut zu erreichen sind, wählen Sie unter "Uhrzeit" den Zeitraum, in dem Sie zurückgerufen werden möchten und stimmen Sie unseren Datenschutzbestimmungen zu.

Ärztlicher E-Mail-Service

Schriftliche Anfragen senden Sie bitte entweder