CLL ohne Beschwerden: Abwarten und Beobachten bleibt richtig
Nach wie vor gilt: Beschwerdefreie Patientinnen und Patienten mit einer Chronischen Lymphatischen Leukämie (CLL) werden zunächst beobachtet ("watch and wait"). Die Lebenserwartung verlängert sich nicht, wenn die Behandlung beginnt, bevor die Erkrankung symptomatisch wird – so auch die Ergebnisse einer aktuellen klinischen Studie der deutschen CLL7. Untersucht wurde hier der frühzeitige Einsatz des Bruton-Tyrosin-Kinase-Hemmers (BTKi) Ibrutinib. Ähnliches konnte in früheren Studien auch schon für die Immun-Chemotherapie gezeigt werden.
CLL mit Beschwerden: Molekulare Faktoren und Begleiterkrankungen wichtig
Muss eine fortschreitende CLL aufgrund von Beschwerden behandelt werden, kommt es heute nicht mehr vorrangig auf das biologische Alter und die allgemeine gesundheitliche Fitness an. Für die Therapieentscheidung wichtig sind vor allem folgende Faktoren:
- Welche genetischen Risikofaktoren für ein rasches Fortschreiten der Erkrankung gibt es in den CLL-Zellen?
- Welche Begleiterkrankungen und Begleitmedikation müssen mit Blick auf spezifische Nebenwirkungen der jeweiligen zielgerichteten Medikamente berücksichtigt werden?
- Welche Wünsche hat ein Patient oder eine Patientin mit Blick auf die Wahl zwischen einer Dauertherapie oder einer zeitlich begrenzten CLL-Behandlung?
Molekulare Risikofaktoren
Als wesentliche genetische Risikofaktoren für ein rascheres Fortschreiten der CLL gelten aktuell
- ein unmutierter IGHV*-Status (mittleres genetisches Risiko)
- eine Deletion (17p13) beziehungsweise eine TP53-Mutation (genetisches Hochrisiko)
- ein komplexer Karyotyp (genetisches Hochrisiko)
Ein mutierter IGHV-Status ist hingegen ein Hinweis für ein eher langsames Fortschreiten der CLL (günstiges genetisches Risiko).
*IGHV: Gene, die für den hypervariablen Bereich der schweren Immunglobulin-Kette verantwortlich sind (englisch Immunoglobulin heavy-chain variable region gene).
Die aktuellen zielgerichteten Therapien
In den folgenden Abschnitten stellen wir kurz die wichtigsten aktuellen Therapiemöglichkeiten vor, die alle prinzipiell für behandlungsbedürftige Patientinnen und Patienten in der Erstlinientherapie der CLL infrage kommen.
Orale Dauertherapie mit einem BTK-Hemmer
Die Einnahme der Tabletten erfolgt täglich, bis sie nicht mehr verträglich sind oder die CLL fortschreitet. Ob initial ein CD20-Antikörper mit einem BTK-Hemmer kombiniert werden sollte, ist bislang offen.
Für Patientinnen und Patienten mit einem hohen genetischen Risiko für ein Fortschreiten der CLL empfehlen Expertinnen und Experten bevorzugt die Dauertherapie mit einem BTK-Hemmer.
Insbesondere bei älteren oder kardial vorgeschädigten Patientinnen und Patienten werden heute vor allem BTK-Hemmer der zweiten Generation wie Zanabrutinib oder Acalabrutinib eingesetzt. Sie haben im Vergleich zu Ibrutinib geringere kardiale Nebenwirkungen.
CLL-Therapie: Abkürzungen
BCRi = B-Zell-Rezeptor-Hemmstoff, englisch B cell receptor signal inhibitor, dazu gehören unter anderem BTKi und PI3Ki
BTKi = Bruton-Tyrosin-Kinase-Hemmstoff, englisch Bruton tyrosine kinase inhibitor, Beispiele sind Ibrutinib, Acalabrutinib, Zanabrutinib oder Pirtobrutinib
BCL2-Hemmer = Hemmstoff des B-Cell-Lymphoma-2-Proteins, Beispiel ist Venetoclax
PI3Ki = Hemmstoff der Phosphoinositid-3-Kinase, englisch PI3-kinase inhibitor, Beispiele sind Idelalisib oder Duvelisib
CD20-AK = monoklonaler Antikörper, der an das Eiweiß CD20 auf B-Lymphozyten bindet, Beispiele sind Rituximab und Obinutuzumab
Zeitlich begrenzte Therapie mit Venetoclax und Obinutuzumab
Der BCL-2-Hemmer Venetoclax wird als Tablette zu jeweils festgelegten Zeitpunkten über 12 Zyklen eingenommen. In den ersten 6 Zyklen kommt zusätzlich der CD20-Antikörper Obinutuzumab als Infusion hinzu. Die gesamte Behandlung dauert etwa 12 Monate.
Expertinnen und Experten sehen diese Kombination vor allem als gute primäre Option für Patientinnen und Patienten mit einem geringen genetischen Risiko für ein Fortschreiten der CLL.
Ist die Nierenfunktion eingeschränkt (Kreatinin-Clearance <30ml/min) oder liegt ein erhöhtes Risiko für ein Tumorlysesyndrom vor, ist mit dieser Kombination Vorsicht geboten.
Zeitlich begrenzte Therapie mit Venetoclax und Ibrutinib
Ibrutinib wird zunächst allein verabreicht und danach mit Venetoclax kombiniert. Die gesamte Behandlung dauert etwa 14 Monate. Meist kann die Behandlung ambulant erfolgen.
Aufgrund möglicher kardialer Nebenwirkungen von Ibrutinib sehen Expertinnen und Experten diese Kombination bevorzugt als wirksame Therapiealternative bei jüngeren Patientinnen und Patientinnen ohne schwere Begleiterkrankungen des Herzens.
Nebenwirkungen unter zielgerichteter Therapie?
Spezifische Nebenwirkungen je nach Wirkstoffgruppe und Substanz: Auch unter einer zielgerichteten Therapie kann es zu – teilweise auch schwerwiegenden – Nebenwirkungen kommen. Die medikamentenspezifische Toxizität muss daher immer individuell mit den Vorerkrankungen der Betroffenen abgeglichen werden. Besonders zu beachten sind hier die Leber- und Nierenfunktion sowie kardiale Vorerkrankungen.
Achtung Wechselwirkungen: Einige zielgerichtete Medikamente beziehungsweise ihre Hauptmetabolite werden über das Enzym CYP3A4 verstoffwechselt. Wechselwirkungen können zu einem starken Anstieg oder Abfall der Serumspiegelkonzentration mit entsprechend erhöhter Toxizität oder Wirkverlust führen.
Immunsuppression: Auch unter einer zielgerichteten Therapie haben Patientinnen und Patienten mit einer CLL ein eingeschränktes Immunsystem. Entsprechende vorbeugende Maßnahmen, beispielsweise auch saisonale Schutzimpfungen, sind daher auch unter der chemotherapiefreien Behandlung von großer Bedeutung.
Wann ist eine Chemotherapie bei CLL noch notwendig?
Liegt bei Betroffenen eine sehr hohe Tumorlast im Sinne einer Hyperleukozytose oder über 10 cm große Lymphknoten (bulky disease) vor, kann in Einzelfällen zu Beginn der Behandlung eine Chemotherapie infrage kommen, um die Tumormasse zu verkleinern. Ein solches Debulking kann mit Alkylanzien erreicht werden, zum Beispiel mit Bendamustin.
Eine allogene Stammzelltransplantation, bei der Betroffene eine Hochdosis-Chemotherapie und fremde Blutstammzellen erhalten, ist heute bei der CLL nur noch sehr selten notwendig.
Ist die CLL mit modernen Substanzen heilbar?
Mit zielgerichteten Therapien gelingt es heute fast immer, die CLL längerfristig zurückzudrängen und krankheitsbedingte Beschwerden deutlich zu bessern. Kommt es im Verlauf zu einem erneuten Wachstum der CLL-Zellen, können weitere zielgerichtete Medikamente eingesetzt und die Tumorzellen damit oft ein zweites oder auch drittes Mal erfolgreich behandelt werden.
Vollständig und dauerhaft heilen lässt sich die CLL bislang auch mit den modernen Therapien wahrscheinlich nicht. Für viele Betroffene wird die CLL damit allerdings zu einer gut behandelbaren “chronischen” Erkrankung.
CLL-Forschung: Wie geht es weiter?
Informationen für Ihre Patientinnen und Patienten
Auf den allgemeinen Informationsseiten des Krebsinformationsdienstes finden sich ausführliche und verständliche Informationen zur CLL, darunter zur Diagnostik, Therapie und dem Leben mit der Erkrankung.
Ziel ist es, die CLL-Therapie künftig noch besser an die individuellen Voraussetzungen der einzelnen Patientinnen und Patienten anzupassen. Bei bestmöglicher Wirksamkeit soll dabei so schonend wie möglich behandelt werden. Forschende arbeiten dazu unter anderem aktuell an folgenden Fragestellungen:
Randomisierter Vergleich der neuen Substanzen: Mit der großen multizentrischen CLL17-Studie wird aktuell eine Studie ausgewertet, die die verschiedenen modernen zielgerichteten Therapieoptionen bei der CLL erstmals direkt miteinander vergleicht. Die Ergebnisse werden helfen, die einzelnen Therapien in Zukunft noch besser auswählen zu können.
Individualisierte Therapieanpassung durch MRD-Messung: Um die Therapie individuell besser steuern zu können, rückt die Messung der sogenannten minimalen Resterkrankung (MRD) im Behandlungsverlauf – ähnlich den akuten Leukämien – auch bei der CLL in den Blick. Die Therapie könnte je nach Befund zurückgefahren (deeskaliert) oder intensiviert werden. Erste Studien dazu laufen bereits. Noch sind hier aber zunächst weitere Daten und auch ein einheitlicher Standard für die entsprechende MRD-Bestimmung notwendig.
Frühe Behandlung bei sehr hohem Progressionsrisiko: Ob einzelne Patientinnen und Patienten mit einem sehr hohen Risiko für ein Fortschreiten der CLL doch von einer frühzeitigen Therapie mit gut verträglichen zielgerichteten Substanzen im Vergleich zu einem abwartenden Verhalten profitieren, müssen künftige klinische Studien zeigen.
Zum Weiterlesen: Verwendete Quellen und vertiefende Informationen
Leitlinien und Empfehlungen von Fachgesellschaften
Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): S3-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Nachsorge für Patient*innen mit einer chronischen lymphatischen Leukämie (CLL), Langversion 2.0, Dezember 2024, AWMF-Registernummer: 018-032OL, Zugriff am 30.01.2025.
Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO) zur CLL: Chronische Lymphatische Leukämie (CLL). Autoren: Clemens-Martin Wendtner, Othman Al-Sawaf, Mascha Binder, Peter Dreger, Barbara Eichhorst, Michael Gregor, Richard Greil, Michael Hallek, Ulrike Holtkamp, Wolfgang Ulrich Knauf et al. Stand 9/2024, Zugriff am 06.12.2024.
Übersichtsarbeiten und Fachveröffentlichungen
1 Woyach JA, Ruppert AS, Heerema NA, Zhao W, Booth AM, Ding W, Bartlett NL, Brander DM, Barr PM, Rogers KA et al. Ibrutinib Regimens versus Chemoimmunotherapy in Older Patients with Untreated CLL. N Engl J Med. 2018 Dec 27;379(26):2517-2528. doi: 10.1056/NEJMoa1812836.
2 Shanafelt TD, Wang XV, Kay NE, Hanson CA, O'Brien S, Barrientos J, Jelinek DF, Braggio E, Leis JF, Zhang CC et al. Ibrutinib-Rituximab or Chemoimmunotherapy for Chronic Lymphocytic Leukemia. N Engl J Med. 2019 Aug 1;381(5):432-443. doi: 10.1056/NEJMoa1817073.
3 Al-Sawaf O, Robrecht S, Zhang C, Olivieri S, Chang YM, Fink AM, Tausch E, Schneider C, Ritgen M, Kreuzer KA et al. Venetoclax-obinutuzumab for previously untreated chronic lymphocytic leukemia: 6-year results of the randomized phase 3 CLL14 study. Blood. 2024 Oct 31;144(18):1924-1935. doi: 10.1182/blood.2024024631.
4 Fürstenau M, Kater AP, Robrecht S, von Tresckow J, Zhang C, Gregor M, Thornton P, Staber PB, Tadmor T, Lindström V et al. First-line venetoclax combinations versus chemoimmunotherapy in fit patients with chronic lymphocytic leukaemia (GAIA/CLL13): 4-year follow-up from a multicentre, open-label, randomised, phase 3 trial. Lancet Oncol. 2024 Jun;25(6):744-759. doi: 10.1016/S1470-2045(24)00196-7.
5 Kater AP, Owen C, Moreno C, Follows G, Munir T, Levin MD, Benjamini O, Janssens A, Osterborg A, Robak T et al. Fixed-Duration Ibrutinib-Venetoclax in Patients with Chronic Lymphocytic Leukemia and Comorbidities. NEJM Evid. 2022 Jul;1(7):EVIDoa2200006. doi: 10.1056/EVIDoa2200006.
6 Tam CS, Allan JN, Siddiqi T, Kipps TJ, Jacobs R, Opat S, Barr PM, Tedeschi A, Trentin L, Bannerji R et al. Fixed-duration ibrutinib plus venetoclax for first-line treatment of CLL: primary analysis of the CAPTIVATE FD cohort. Blood. 2022 Jun 2;139(22):3278-3289. doi: 10.1182/blood.2021014488.
7 Langerbeins P, Zhang C, Robrecht S, Cramer P, Fürstenau M, Al-Sawaf O, von Tresckow J, Fink AM, Kreuzer KA, Vehling-Kaiser U et al. The CLL12 trial: ibrutinib vs placebo in treatment-naïve, early-stage chronic lymphocytic leukemia. Blood. 2022 Jan 13;139(2):177-187. doi: 10.1182/blood.2021010845.
Langerbeins P, Robrecht S, Nieper P, Cramer P, Fürstenau M, Al-Sawaf O, Fink A, Kreuzer K, Vehling-Kaiser U, Tausch E et al. ibrutinib versus Placebo in patients with asymptomatic, treatment-naïve early stage chronic lymphocytic leukemia (CLL): Final result of the CLL12 trial. First published: 09 June 2023. doi: 10.1002/hon.3163_24.