Belzutifan: ein neuer Therapieansatz
Belzutifan hemmt den Hypoxie-induzierbaren Faktor 2 alpha (kurz HIF), der beim sporadischen Nierenkrebs und beim erblichen Von-Hippel-Lindau-Syndrom in den Tumorzellen im Überschuss vorhanden ist. Dieses Zuviel an HIF ist verantwortlich dafür, dass sich Zellen ungebremst teilen (Proliferation), Tumoren wachsen (Progression) und neue Blutgefäße entstehen (Angiogenese).
Hinter dem überaktiven HIF-Signalweg steckt ein defektes Gen: das Von-Hippel-Lindau-Gen, kurz VHL-Gen. Beim erblichen Von-Hippel-Lindau-Syndrom (in allen Körperzellen) und bei über 90 Prozent der klarzelligen Nierenzellkarzinome (nur in den Tumorzellen) ist das VHL-Gen verändert. Normalerweise reguliert das Produkt des VHL-Gens, das VHL-Protein, den Hypoxie-induzierbaren Faktor HIF und fungiert so als Tumor-Suppressor.
VHL-Gen und HIF-Signalweg
Nobelpreis für Medizin 2019
Es ist noch nicht so lange her, dass die drei Forscher Kaelin, Ratcliffe und Semenza für ihre Grundlagenforschung den Medizin-Nobelpreis bekommen haben. Mit ihrer Arbeit konnten sie die komplexen Prozesse rund um das VHL-Gen und den HIF-Signalweg aufklären.
Sie haben den Weg geebnet für das Design von spezifischen kleinen Molekülen, die genau in die Bindetasche (engl. pocket) des HIF-2-alpha-Proteins passen und dessen Funktion so gezielt hemmen. Mit Belzutifan ist es nun gelungen, einen wirksamen HIF-Hemmer in den klinischen Alltag einzuführen.
HIF heißt deswegen Hypoxie-induzierbarer Faktor, weil HIF eine wichtige Rolle bei der physiologischen Sauerstoffversorgung der Zellen spielt. Es gibt ein empfindliches Gleichgewicht zwischen der Funktion des VHL-Gens beziehungsweise des davon kodierten VHL-Proteins und dem HIF-Signalweg. Das ist wichtig, um die Sauerstoff-Homöostase im menschlichen Körper aufrechtzuerhalten – auch bei Sauerstoffmangel (Hypoxie).
Normoxie: Bei normaler Sauerstoffversorgung (Normoxie) und intaktem VHL-Gen bindet HIF an das funktionsfähige VHL-Protein. Dadurch wird HIF kontinuierlich abgebaut und häuft sich nicht an.
Hypoxie: Beispielsweise bei einem Aufenthalt in der Höhe ist es für den Körper wichtig, sich an den Sauerstoffmangel anzupassen. Das gelingt durch die enge Verzahnung von VHL-Protein und HIF-Signalweg: Bei Hypoxie bleibt HIF stabil und wird nicht abgebaut. Als Transkriptionsfaktor induziert HIF das Ablesen einer Vielzahl von Genen, die für die physiologische Adaptation verantwortlich sind: zum Beispiel für die Blutbildung, die Zellvermehrung und den Glukose-Stoffwechsel.
VHL-Inaktivierung: Ist das VHL-Gen bei der Nierenkrebs- oder VHL-Erkrankung verändert und fällt das VHL-Protein aus, gerät der HIF-Signalweg außer Kontrolle. Dadurch akkumuliert HIF und – wie unter dem vorherigen Abschnitt "Hypoxie" beschrieben – sind die zellulären Hypoxie-Anpassungsprogramme dauerhaft aktiviert. Dies begünstigt die Tumorentstehung, das Wachstum und Fortschreiten von Krebs.
Belzutifan: Indikation und Anwendung
Der HIF-Inhibitor (Handelsname Welireg®) ist bedingt zugelassen für Patienten und Patientinnen mit einem fortgeschrittenen Nierenzellkarzinom, bei denen es nach zwei oder mehr Behandlungen (Therapielinien) zu einer Tumorprogression kommt. Die vorangegangenen Therapielinien müssen einen Checkpoint-Inhibitor und mindestens zwei Tyrosinkinase-Inhibitoren beinhalten. Belzutifan wird einmal täglich geschluckt.
Zulassungsstudie LITESPARK 005
Die Zulassung von Belzutifan basiert auf den Ergebnissen der LITESPARK-005-Studie1. In dieser internationalen, randomisierten Phase-III-Studie verglich das Forscherteam den HIF-Hemmer Belzutifan mit dem mTOR-Hemmer Everolimus. Untersucht wurde die Wirksamkeit der Medikamente, wenn die Krankheit fortschritt (Progression) und die Betroffenen zuvor sowohl einen Immun-Checkpoint-Hemmer als auch einen Tyrosinkinase-Hemmer erhalten hatten. 746 Erwachsene mit metastasiertem, klarzelligen Nierenzellkarzinom nahmen an der Studie teil.
Studienergebnisse: Nach 24 Monaten Beobachtungszeit liegen die Endergebnisse der Studie vor. In folgenden Endpunkten erwies sich Belzutifan gegenüber Everolimus als überlegen:
- progressionsfreies Überleben: 17,5 versus 4,1 Prozent
- objektive Ansprechrate: 22,7 versus 3,5 Prozent
- komplettes Ansprechen: 3,5 versus 0 Prozent
- mediane Dauer des Ansprechens: 19,3 versus 13,7 Monate
Die Gesamtüberlebensrate nach 2 Jahren beträgt geschätzt 45,2 (Belzutifan) versus 41,2 Prozent (Everolimus). Dies ist zwar ein numerischer Vorteil, der sich jedoch nicht als statistisch signifikant erwiesen hat (Hazard Ratio = 0,88).
Nebenwirkungen: Insgesamt scheint Belzutifan (Welireg®) gut verträglich zu sein. Belzutifan unterscheidet sich in seinem Nebenwirkungsprofil von den bislang etablierten Systemtherapien bei Nierenkrebs.
- Die häufigsten Nebenwirkungen von Belzutifan sind Blutarmut, Müdigkeit, Übelkeit, Kurzatmigkeit, Schwindel und Sauerstoffmangel. Daher müssen behandelnde Ärzte die Sauerstoffsättigung regelmäßig kontrollieren.
- Nebenwirkungen vom Schweregrad 3 oder höher waren in beiden Behandlungsgruppen vergleichbar (rund 40 Prozent).
- Allerdings unterbrachen in der Belzutifan-Gruppe weniger Studienteilnehmende die Therapie wegen Nebenwirkungen als in der Everolimus-Gruppe: 6,2 versus 15,3 Prozent.
Einen Gesamtüberblick über die unerwünschten Arzneimittelwirkungen finden Sie in der Fachinformation.
Noch ungeklärte Fragen
- Wissenschaftler vermuten, dass die HIF-Aktivität bei Patienten und Patientinnen variabel ist. Daraus schließen sie: Prädiktive Biomarker könnten helfen, um die Wirksamkeit von Belzutifan vorherzusagen. Da solche Marker bislang fehlen, wird zum Thema geforscht.
- Die Vergleichstherapie zu Belzutifan in der LITESPARK-005-Studie war eine Monotherapie mit Everolimus. Die aktuelle deutsche S3-Leitlinie2 empfiehlt in der Rezidivsituation allerdings eine Kombinationstherapie mit Everolimus und dem Tyrosinkinase-Hemmer Lenvatinib. Daher schränkt dies möglicherweise die Aussagekraft der Studie ein1.
- Welche Sequenztherapie wirksam ist, wenn der Tumor auf Belzutifan resistent wird, ist wissenschaftlich noch nicht geklärt. Resistenzmechanismen werden derzeit erforscht. Um das Ansprechen auf die HIF-Inhibitor-Therapie zu verbessern und eine Resistenzentwicklung hinauszuzögern, wird Belzutifan derzeit in mehreren klinischen Studien als Kombinationstherapie geprüft. Beispiele sind Belzutifan plus Cabozantinib, Belzutifan plus Lenvatinib und Belzutifan plus Lenvatinib plus Pembrolizumab.
Fazit für die Praxis
Belzutifan ist ein orales Medikament mit einem neuen Wirkmechanismus und einem besonderen Nebenwirkungsprofil. Es kann bei Menschen mit bereits vorbehandeltem metastasierten Nierenzellkarzinom ab der Drittlinie eingesetzt werden sowie bei Tumoren, die durch eine Von-Hippel-Lindau-Krankheit bedingt sind.
Die bisherige Datenlage weist darauf hin, dass das Medikament gut verträglich ist und Nebenwirkungen gut zu managen sind. Mit der EU-Neuzulassung wird die Erfahrung in der "Real-World"-Praxis zunehmen. Wie sich Belzutifan langfristig in die Therapieabfolge beim fortgeschrittenen Nierenzellkarzinom einreihen wird, bleibt abzuwarten.
Belzutifan wird derzeit in klinischen Studien auch in früheren Tumorstadien geprüft, so etwa adjuvant nach einer Nierenoperation. Außerdem bei anderen Krebsarten wie Prostata-, Darm- oder Bauchspeicheldrüsenkrebs. An manchen Studien nehmen auch deutsche Behandlungszentren teil.
Zum Weiterlesen: Verwendete Quellen und vertiefende Informationen
Quellen
Arduini D, Ciccarese C, Strusi A, Beccia V, Pedone RR, Scala A, Sardaro V, Tortora G, Iacovelli R. The Clinical Role of Hypoxia Inducible Factor (HIF) Inhibition in Renal Cancer: A Focus on Belzutifan. Curr Cancer Drug Targets. 2025 Jan 6. doi: 10.2174/0115680096323507241101064127.
Chahoud J, Msaouel P. Belzutifan for renal cell carcinoma: Balancing regulatory approval with societal and patient impact. Med. 2025 Jan 10;6(1):100563. doi: 10.1016/j.medj.2024.11.016.
1 Choueiri TK, Powles T, Peltola K, de Velasco G, Burotto M, Suarez C, Ghatalia P, Iacovelli R, Lam ET, Verzoni E et al.; LITESPARK-005 Investigators. Belzutifan versus Everolimus for Advanced Renal-Cell Carcinoma. N Engl J Med. 2024 Aug 22;391(8):710-721. doi: 10.1056/NEJMoa2313906.
Curry L, Soleimani M. Belzutifan: a novel therapeutic for the management of von Hippel-Lindau disease and beyond. Future Oncol. 2024;20(18):1251-1266. doi: 10.2217/fon-2023-0679.
Fallah J, Heiss BL, Joeng HK, Weinstock C, Gao X, Pierce WF, Chukwurah B, Bhatnagar V, Fiero MH, Amiri-Kordestani L, Pazdur R, Kluetz PG, Suzman DL. FDA Approval Summary: Belzutifan for Patients with Advanced Renal Cell Carcinoma. Clin Cancer Res. 2024 Nov 15;30(22):5003-5008. doi: 10.1158/1078-0432.CCR-24-1199.
Leitlinien und systematische Übersichtsarbeiten
2 Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): S3-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Nierenzellkarzinoms, Langversion 5.0, 2024, AWMF-Registernummer: 043-017OL. Zugriff am 20.01.2025.
Ljungberg B, Bex A, Albiges L, Bedke J, Capitanio U, Dabestani S, Hora M, Klatte T, Kuusk T, Lund L et al. EAU Guidelines on Renal Cell Carcinoma. EAU Guidelines Office, Arnhem, The Netherlands, 2024.
Behördeninformationen
Europäische Kommission: Produktinformation Welireg.
Weitere Quellen (Auswahl)
Eckert N, Grunert D, Lenzen-Schulte M. Nobelpreis für Medizin: Wenn Zellen außer Atem kommen. Dtsch Arztebl 2019; 116(41): A-1820/B-1502/C-1474.