Noch zu wenige Daten?
In Europa und damit auch in Deutschland ist bisher kein Immun-Checkpoint-Hemmer für Patienten mit Darmkrebs zugelassen. Ende Januar 2018 sprachen sich die Experten des Ausschusses für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittel-Agentur (European Medicines Agency, EMA) vorläufig gegen die Zulassung von Nivolumab für mikrosatelliteninstabile oder Mismatch-Repair-defiziente kolorektale Karzinome aus. Ihrer Einschätzung nach reichen die bisherigen Daten nicht aus, um den Nutzen überzeugend zu belegen. Daraufhin wurde der Zulassungsantrag vom Hersteller zurückgezogen.
Mikrosatelliteninstabilität – was ist das?
Mit dem Begriff "Mikrosatelliteninstabilität", kurz MSI, MSI-H oder MSI-high, beschreibt man Abweichungen in der Anzahl kurzer, sich wiederholender Erbgutabschnitte, den Mikrosatelliten. Solche Abweichungen kommen durch einen DNA-Reparaturdefekt zustande: Bei den Betroffenen ist das Mismatch-Repair-System gestört. Dieses System ist insbesondere für die Korrektur von kleinen Fehlern in der Basenabfolge zuständig. Solche Fehler können bei der Replikation entstehen, wenn sich die DNA – in Vorbereitung auf eine Zellteilung – verdoppelt. Ist der Mismatch Repair gestört, häufen sich im Verlauf von Zellteilungen kleine Mutationen in den Zellen an.
Ererbte Störungen im Mismatch-Repair-System liegen dem Lynch-Syndrom, also dem erblichen nicht-polypösen Darmkrebs (HNPCC) zugrunde. Sie können aber auch in sporadischen Tumoren auftreten.
Genveränderungen als Biomarker?
Immun-Checkpoint-Hemmer
Das sind Antikörper, die sich gegen natürliche "Bremsen" im Immunsystem richten. Dadurch aktivieren sie insbesondere die zur Tumorbekämpfung wichtigen zytotoxischen T-Zellen. Beispiele sind die gegen PD-1 gerichteten Antikörper Nivolumab und Pembrolizumab, gegen PD-L1 gerichtete Antikörper wie Atezolizumab oder Avelumab oder gegen CTLA-4 gerichtete Antikörper wie Ipilimumab. Mehr zu Immun-Checkpoint-Hemmern finden Sie im Informationsblatt "Immuntherapie gegen Krebs" (PDF).
Inzwischen gibt es deutliche Hinweise darauf, dass eine Krebserkrankung umso besser auf eine Immuntherapie anspricht, je mehr Genveränderungen die Tumorzellen gegenüber gesunden Zellen aufweisen. Man spricht dabei auch von einer höheren "Mutationslast" (mutational load, mutational burden) der Tumoren. Hat eine Krebszelle viele Genveränderungen, stellt sie in der Folge auch viele veränderte Genprodukte her, beispielsweise veränderte oder verkürzte Proteine. Dies sind sogenannte Neoantigene – neue Antigene, die von den Immunzellen als körperfremd erkannt und angegriffen werden können.
Mikrosatelliteninstabile kolorektale Karzinome
Erste Studien zeigen, dass ein substanzieller Teil der mikrosatelliteninstabilen beziehungsweise Mismatch-Repair-defizienten Tumoren bei Darmkrebs und auch bei anderen Krebserkrankungen gut auf eine Therapie mit Immun-Checkpoint-Hemmern anzusprechen scheint. In den USA ist daher Pembrolizumab – wie oben bereits erwähnt – als erstes Medikament lokalisationsunabhängig zur Behandlung von fortgeschrittenen Tumoren mit dem MSI-high-Phänotyp zugelassen worden.
Andere Unterformen kolorektaler Karzinome
Neben den mikrosatelliteninstabilen Tumoren gibt es bei Darmkrebs noch eine weitere, seltene Unterform mit vielen Mutationen: die Tumoren mit einer Mutation im Gen für die DNA-Polymerase ε (POLE). Auch von diesen Tumoren erwarten Experten, dass sie gut auf eine Therapie mit Immun-Checkpoint-Hemmern ansprechen könnten.
Andere Unterformen kolorektaler Karzinome weisen dagegen häufig eine chromosomale Instabilität (CIN) auf, die zu Verlusten oder Gewinnen ganzer Chromosomen oder Chromosomenabschnitte führt. Diese Tumoren sprechen Untersuchungen zufolge nicht gut auf eine alleinige Therapie mit Immun-Checkpoint-Hemmern an.
Was wird in der S3-Leitlinie empfohlen?
Die Autoren der Ende 2017 aktualisierten S3-Leitlinie zum kolorektalen Karzinom weisen darauf hin, dass in Deutschland bisher kein Immun-Checkpoint-Hemmer zur Behandlung von Darmkrebspatienten zugelassen ist. Trotzdem wird empfohlen, bei nachgewiesenermaßen mikrosatelliteninstabilen, metastasierten Tumoren in späteren Therapielinien über die Möglichkeit einer Behandlung mit einem Checkpoint-Inhibitor nachzudenken. Dabei würde es sich derzeit allerdings um einen Off-Label-Use handeln. Vor Therapiebeginn sollten Betroffene daher die Kostenübernahme mit ihrer jeweiligen Krankenkasse klären. Für andere Unterformen von Darmkrebs oder frühere Krankheitsstadien gibt es bisher noch keine Empfehlungen zum Einsatz einer Immuntherapie.
Immuntherapie bei Darmkrebs – Ausblick
Um in Zukunft mehr Darmkrebspatienten eine wirksame Immuntherapie anbieten zu können, wird intensiv geforscht:
- Die Forscher suchen nach weiteren Biomarkern, die das Ansprechen auf Immun-Checkpoint-Hemmer gut vorhersagen können. Kandidaten sind derzeit das Immuninfiltrat im Tumor oder auch das Mikrobiom des Patienten.
- Erste Untersuchungen gibt es inzwischen auch zu anderen immuntherapeutischen Ansätzen wie CAR-T-Zellen, adoptivem T-Zell-Transfer oder peptidbasierten Impfungen.
- Besonders vielversprechend erscheint vielen Experten die Kombination von Checkpoint-Hemmern oder anderen Immuntherapeutika untereinander oder mit anderen Therapieformen wie Chemotherapie, zielgerichteter Therapie oder Strahlentherapie.
Hier ist jedoch noch viel Forschung nötig, um den Einsatz bei Darmkrebs zu ermöglichen und zu optimieren.
Zum Weiterlesen: Verwendete Quellen und vertiefende Informationen
Leitlinien und systematische Übersichtsarbeiten
S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom, Langversion 2.0 – November 2017. AWMF-Registernummer 021/007OL www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/021-007OLl_S3_KRK_2017-12_1.pdf
Weitere Übersichtsarbeiten und Fachveröffentlichungen
Basile D, Garattini SK, Bonotto M, Ongaro E, Casagrande M, Cattaneo M, Fanotto V, De Carlo E, Loupakis F, Urbano F et al. Immunotherapy for colorectal cancer: where are we heading? Expert Opin Biol Ther. 2017 Jun;17(6):709-721. doi: 10.1080/14712598.2017.1315405.
Grierson P, Lim KH, Amin M. Immunotherapy in gastrointestinal cancer. J Gastrointest Oncol. 2017 Jun; 8(3):474-484. doi: 10.21037/jgo.2017.05.01.
Kather JN, Halama N, Jaeger D. Genomics and emerging biomarkers for immunotherapy of colorectal cancer. Semin Cancer Biol. 2018 Mar 1. pii: S1044-579X(17)30254-7. doi: 10.1016/j.semcancer.2018.02.010. [Epub ahead of print]
Le DT, Durham JN, Smith KN, Wang H, Bartlett BR, Aulakh LK, Lu S, Kemberling H, Wilt C, Luber BS et al. Mismatch repair deficiency predicts response of solid tumors to PD-1 blockade. Science. 2017 Jul 28; 357(6349):404-413. doi: 10.1126/science.aan6733.
Overman MJ, Lonardi S, Wong KYM, Lenz HJ, Gelsomino F, Aglietta M, Morse MA, Van Cutsem E, McDermott R, Hill A et al.). Durable Clinical Benefit With Nivolumab Plus Ipilimumab in DNA Mismatch Repair-Deficient/Microsatellite Instability-High Metastatic Colorectal Cancer. J Clin Oncol. 2018 Mar 10; 36(8):773-779. doi: 10.1200/JCO.2017.76.9901.
Rechtlicher Rahmen/Behördeninformationen
Informationen der EMA vom 26. Januar 2018 zur Rücknahme des Antrags zur Zulassungserweiterung für Nivolumab und NSI-H oder dMMR kolorektale Karzinome. www.ema.europa.eu/docs/en_GB/...QA/.../WC500242412.pdf
Informationen der FDA zur Zulassung von Pembrolizumab für solide Tumoren mit MSI-H oder dMMR-Phänotyp. www.fda.gov/Drugs/InformationOnDrugs/ApprovedDrugs/ucm560040.htm
Informationen der FDA zur Zulassung von Nivolumab für Darmkrebs mit MSI-H oder dMMR-Phänotyp. www.fda.gov/Drugs/InformationOnDrugs/ApprovedDrugs/ucm569366.htm