Tumorzellen und Blutgefäße: eine intime Beziehung
Die Reise über die Blutbahnen ist für eine Krebszelle beschwerlich: Sie muss sich zunächst durch die Zellen der Gefäßwand zwängen. In der Blutbahn selbst ist die starke Strömung eine immense Herausforderung. Um das Gefäßinnere wieder zu verlassen, braucht die Krebszelle geeignete Proteine zum Andocken und Überwinden der Gefäßbarriere.
"Das ist ein extrem aktiver Prozess, der auf zahlreichen Wechselwirkungen zwischen der Krebszelle und den Gefäßwandzellen beruht", sagt Andreas Fischer vom DKFZ. Der Gefäßexperte, der auch an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg forscht, erkannte vor kurzem, dass Krebszellen die Blutgefäße für ihre eigenen Zwecke umprogrammieren:
Sie veranlassen die Gefäßwandzellen, ihnen leichter Durchlass zu gewähren. Zugleich bilden die Gefäßwandzellen bestimmte Proteine aus, an denen sich die Krebszelle wie mit einem Druckknopf verankern und die Blutbahn wieder verlassen kann. Fischers Team konnte die molekularen Schalter, die an dieser Sabotage beteiligt sind, identifizieren und teilweise mit Antikörpern blockieren: Daraufhin entwickelten krebskranke Mäuse weniger Lungenmetastasen.
Wegen der immensen Bedeutung der Blutgefäße für Wachstum und Ausbreitung der Tumoren ist die Gefäßneubildung seit Jahrzehnten schon im Visier der Krebsforscher. Das erste Medikament, das diesen Vorgang blockiert, kam bereits 2005 auf den Markt – erzielte aber nur mäßige klinische Erfolge.
Hellmut Augustin versucht daher, auf andere Weise zu verhindern, dass sich der Tumor mit neuen Adern versorgt. Dazu erforscht er systematisch die Signalmoleküle der Gefäßwandzellen – und entdeckte kürzlich den Rezeptor Tie1 als mögliches neues Therapieziel: Krebskranke Mäuse, in deren Gefäßwandzellen Tie1 genetisch ausgeschaltet war, entwickelten deutlich langsamer und deutlich weniger Metastasen – im Gegensatz zu ihren genetisch normalen Artgenossen.
"Sicherlich müssen mehrere Schlüsselmoleküle zugleich blockiert werden, um die Gefäßneubildung wirklich effizient zu unterdrücken", so der DKFZ-Forscher. "Ein Wirkstoff, der den Rezeptor Tie1 inaktiviert, ließe sich sinnvoll mit anderen antiangiogenen Medikamenten kombinieren."
Fruchtbarer Boden für Metastasen
Metastasen treten nicht nach dem Zufallsprinzip im Körper auf, sondern – je nach Tumorart – bevorzugt in bestimmten Organen. So siedelt Prostatakrebs besonders häufig in die Wirbelsäule ab, Melanome in das Gehirn. Woran das liegt, ist nur teilweise bekannt. Allein an der Blutmenge, die ein Organ durchströmt, kann es nicht liegen, sonst müsste es beispielsweise viel mehr Metastasen in den Nieren geben – was aber tatsächlich sehr selten vorkommt.
Bereits 1889 veröffentlichte der britische Chirurg Stephen Paget dazu eine berühmte Theorie: "Seed and Soil", zu Deutsch etwa Saatkorn und Boden, müssten bei der Metastasierung zusammenwirken, so der Forscher. Bestimmte Gewebe böten bestimmten Krebszellen einen "fruchtbaren Boden", beispielsweise in Form von Wachstumsfaktoren oder Molekülen, an die Krebszellen andocken und sich festsetzten können.
"Schläfer" im Gehirn ausschalten
Besonders viele Rätsel gibt die Entstehung von Hirnmetastasen auf. Insbesondere Melanome, Brust- und Lungenkrebs siedeln sich im Gehirn an: "Obwohl es für Krebszellen gar nicht so einfach ist, dort hinzukommen", sagt Frank Winkler, der am DKFZ und am Universitätsklinikum Heidelberg erforscht, wie Hirnmetastasen entstehen.
Winkler hatte im Gehirn von Mäusen das Verhalten einzelner Tumorzellen beobachtet und dabei ein typisches Verhaltensmuster festgestellt: Nach dem Austritt aus der Blutbahn heftet sich die Krebszelle an die Außenseite feiner Kapillargefäße und schart dort bestimmte Gehirnzellen um sich. In dieser "Gefäß-Nische" nehmen Hirnmetastasen grundsätzlich ihren Anfang.
Die Frage ist nur, wann: Manchmal bleibt die Krebszelle einfach in ihrer Nische liegen, ohne zu wachsen. „Es ist ein großes medizinisches Problem, dass Metastasen oft erst viele Jahre nach einer scheinbar erfolgreichen Krebsbehandlung auftreten. "Wir wollen unbedingt herausfinden, wie diese "Schläfer" es schaffen, zu einer lebensgefährlichen Hirnmetastase heranzuwachsen", so der Neurologe.
Damit befasst sich das von der Deutschen Krebshilfe finanzierte Verbundprojekt "Präventive Strategien gegen Hirntumoren", das Winkler leitet. „Wir haben bereits wichtige Prozesse der Gehirnmetastasierung aufgeschlüsselt und nehmen gezielt solche Interaktionen zwischen Tumorzelle und Gehirn ins Visier, die wir mit heute schon verfügbaren Medikamenten beeinflussen können."
In spätestens drei Jahren wollen die Forscher genug Erkenntnisse gesammelt haben, um eine klinische Studie zu starten. Das Ziel ist, mit dem aussichtsreichsten Wirkstoff zukünftige Gehirnmetastasen zu verhindern.
"Metastasen sind auch deswegen schwer zu behandeln, weil sie sich häufig stark von den Krebszellen des Ursprungstumors unterscheiden", erklärt Susanne Weg-Remers. "Neue Medikamente, die verhindern, dass Tumoren sich überhaupt auf diese Weise ausbreiten, könnten die Krebstherapie bedeutend verbessern. Bis dahin ist es umso wichtiger, dass Krebs früh erkannt wird, bevor der Tumor gestreut hat. Rechtzeitig behandelt, gibt es heute bei vielen Krebsarten eine gute Chance auf Heilung."
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